In Edelmetall und Wirtschaft Aktuell
Mausklick statt Miniatur-Flagge: Ist das Goldpreis-Fixing nach 100 Jahren noch zeitgemäß?
Treue Edelmetall-Investoren dürften sich noch an die Nacht vom 23. auf den 24. August 2015 erinnern, denn an die nötige Ruhe zum Schlafen war nicht zu denken: Von einer Sekunde auf die andere rauschte der Goldpreis plötzlich steil nach unten, innerhalb von einer Minute verlor Gold über 50 Dollar pro Feinunze an Wert. Und am Tag nach dem „Flash Crash“ herrschte blanke Ratlosigkeit an den Märkten. Zwar wurde schnell bekannt, dass ein Händler seine Papiergold-Positionen im Wert von 2,7 Milliarden Dollar mithilfe einer unlimitierten Verkaufsorder auf den Markt geworfen hatte. Doch es blieben viele Fragen offen, allen voran: Warum verschleudert ein Händler mitten in der Nacht, wenn die wichtigsten Handelsplätze geschlossen sind, eine riesige Menge an Goldpapieren auf den Markt?

Zwar ist bis heute nicht bewiesen, dass es sich bei dem Goldpreisrutsch, der sich vor fast genau zwei Jahren ereignete, tatsächlich um eine konzertierte Aktion handelte. Doch für viele Investoren steht fest, wo diese und andere überraschende Preisstürze vorbereitet werden: In London, der Hauptstadt des weltweiten Edelmetallhandels. Hier findet das traditionelle Goldpreis-Fixing am Londoner Goldmarkt statt. Im Jahr 2019 feiert es seinen 100. Geburtstag – doch Goldbesitzer rund um den Globus dürften nicht in Partystimmung verfallen, wenn sie an das Goldpreis-Fixing denken. Denn die tägliche Preisfestsetzung in London wird seit Jahren von Manipulationsvorwürfen begleitet. Und immer mehr Kritiker halten das Fixing vor dem Hintergrund eines weltweiten Goldhandels, der rund um die Uhr über digitale Handelsbörsen möglich ist, für nicht mehr zeitgemäß.

Im Jahr 1919 wäre diese Bewertung freilich noch anders ausgefallen. Es gab zwar lokale Börsen, doch an einen weltumspannenden Optionsscheinhandel war noch nicht zu denken. In Europa war gerade erst die Lateinische Münzunion gescheitert, welche den grenzüberschreitenden Handel durch einheitliche Münzgrößen erleichtern sollte. Als nach dem Ersten Weltkrieg der weltweite Handel wieder aufgenommen wurde, kamen fünf traditionsreiche Londoner Geldinstitute in der Londoner Rothschild-Bank zusammen, um dort börsentäglich über den Goldpreis zu verhandeln. Die Vertreter aller fünf Banken standen während des Fixings im ständigen Austausch mit ihren Großkunden und konnten so die aktuelle Nachfrage in die Preisfindungsrunde einfließen lassen. Zu Beginn wurde vom Vorsitzenden stets ein Richtpreis genannt, der an die Kunden weitergegeben wurde. Und je nach Nachfrage kam es zu schrittweisen Preisanpassungen, um ein Gleichgewicht zwischen Käufern und Verkäufern zu erreichen.

Fast hundert Jahre später erinnert kaum noch etwas an das konspirative Treffen in einem holzgetäfelten Konferenzraum der Rothschild-Bank: Bereits seit 2004 sind die Händler nicht mehr persönlich anwesend, sondern handelten den Goldpreis per Telefonkonferenz aus. Statt der historischen Formel „There are no flags, and we’re fixed“ wurde die Festlegung des Goldpreises mit dem kurzen Begriff „flag“ festgelegt – oder „gefixt“, wie es in der Händlersprache heißt. Seit 1968 wurde das Morgen-Fixing um 11:30 Uhr um eine zweite Preisfestlegung am Nachmittag um 16:00 Uhr ergänzt, um mögliche Marktschwankungen besser abbilden zu können. Und die Zusammensetzung der illustren Goldpreis-Entscheider hat sich in den vergangenen Jahren wiederholt gewandelt: Aktuell sind unter anderem die Barclays Bank, HSBC, Société Générale, Goldman Sachs International sowie die UBS an dem Verfahren beteiligt. Die Deutsche Bank ist im Januar 2014 aus der Runde ausgestiegen – pikante Randnotiz: Der Sitz der Deutschen Bank sollte ursprünglich verkauft werden, doch niemand wollte ihn haben.

Die Manipulationsvorwürfe sind fast so alt wie das Goldpreis-Fixing selbst. In der Vergangenheit mussten Fixing-Teilnehmer wiederholt Strafen zahlen, so beispielsweise die britische Barclays Bank einen Betrag von 26 Millionen Pfund, nachdem ein Händler das Preisfixing nachweislich im Juni 2012 manipuliert hatte. Diverse nationale Aufsichtsgremien wie beispielsweise die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Londoner Aufsicht FCA sowie die Schweizer Wettbewerbskommission (Weko) haben wiederholt das Gold- und Silberpreisfixing untersucht.

Die „London Bullion Market Association“ bemüht sich seit Jahren um Transparenz – allerdings mit mäßigem Erfolg. Seit August 2014 wurde das Silberpreis-Fixing auf eine auktions-ähnliche Internetplattform umgestellt, im März 2015 folgte die Umstellung auch für den Goldpreis. Die Technik für das neue elektronische Preisfixing liefert der amerikanische Börsenbetreiber ICE. Das Ziel der technischen Umstellung: Der Preis sollte fortan durch nachweisbare Handelsumsätze bestimmt werden und nicht durch eine undurchsichtige Pi-Mal-Daumen-Entscheidung. Im Mai 2017 gab die LBMA zudem bekannt, dass ihre über 140 Mitglieder ab Juni 2018 neue Verhaltensregeln unterzeichnen müssten. Dadurch sollte „Vertrauen, Beständigkeit und Transparenz“ erreicht werden. Als Strafen werden temporäre Handelssperren oder ein dauerhafter Ausschluss vom Handel genannt.

Allerdings wurden die Handels-Regeln in der Vergangenheit wiederholt verschärft, doch die Manipulationsgerüchte konnten nicht nachhaltig beseitigt werden. Die anhaltenden Manipulationen auf dem Devisenmarkt zeigen zudem, dass auch elektronische Systeme nicht vor Betrug geschützt sind. Und selbst bei dem neuen Internet-Fixing wich der Referenzpreis mehrfach deutlich von den Kursen am Spotmarkt ab, ohne dass es dafür nachvollziehbare Erklärungen gab. Anleger sollten jedoch trotz der anhaltenden Manipulationsgerüchte nicht in Panik verfallen – durch den weltweiten Handel mit Gold wäre eine Mauschelei in London inzwischen wenig bedrohlich. Denn wenn der durch das Londoner Fixing festgelegte Preis im krassen Gegensatz zum aktuellen Gold-Angebot sowie der Nachfrage steht, werden andere Edelmetall-Börsen in aller Welt den unrealistischen Preis schnell korrigieren. Und die Vergangenheit hat gezeigt: Wenn Gold plötzlich ohne erkennbaren Grund in die Tiefe rauschte, verfielen professionelle Anleger nicht in Panik, sondern nutzten die Gelegenheit zum günstigen Nachkauf und sorgten dafür, dass der Kursrutsch schnell ausgeglichen war.

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